Christian-Geissler-Gesellschaft e.V.

Immer bloß Fahrstuhl ist blöde (1969)

Immer bloß Fahrstuhl ist blöde
Buch: Christian Geissler Regie: Rolf Busch
27’55“, NDR 1969, Erstsendung 25.10.1969

„Immer nur Fahrstuhl ist blöde“ ist ein für Christian Geissler ungewöhnliches Fernsehspiel. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es handelt sich um ein Fragment. Unter dem Titel „Widersprüche“ wollte Geissler in einem 1965 entstandenen Drehbuch darstellen, wieso es politisch so ruhig war im Lande: wie in der Adenauer-Ära Widersprüche abgefedert, die finsteren Seiten übertüncht und die Wünsche der Menschen kanalisiert werden. Drei Teile umfasst das Stück. Zusammengehalten werden sie durch die dozierenden Auftritte eines „Instrukteurs“, der wie ein Moderator durch die Sendung führt und dabei eindeutig auf der Seite des „Systems“ steht. Er sieht die „wahren“ Probleme beim Menschen, der „schwach von Natur, hinfällig und sehr widersprüchlich“ sei. Man müsse ihn vor sich selber schützen. Er sei angewiesen auf „Zucht und Ordnung“ damit er „nicht das Opfer seiner Unarten“ werde. Drei Beispiele führt er an:

1. Eine junge Frau, die eine „freche Haltung“ einnimmt, „anpassungsunwillig, sinnlich“ ist und die „Neigung, einen eigenen Plan zu machen“ hat. Sie arbeitet als Fahrstuhlführerin in einem Kaufhaus – damals durften Kund:innen noch nicht selbst auf die Knöpfe drücken und die Stockwerke wurden „live“ angesagt. Ihr Fall ging, so der Instrukteur, gerade noch „glimpflich“ aus.

   

2. Einen Maler, einen „merkwürdig fügsamen Kopf“, der sein Augenmerk auf die Verbrechen der Nazis, koloniale Verhältnisse und Kriege lenkt, diese aber mit einer Filtertechnik ins Reich des Abstrakten abhebelt. Er bekommt den Preis der Industriellen und wird bestärkt darin, seine Filtertechnik auszubauen, mit der er seinen den Herrschenden wenig zusagenden Gegenständen eine anmutige Beschaulichkeit verleihen kann: Damit das so bleibt und „selbständigem Denken“ angesichts der Bilder von Nazi-Verbrechen und Krieg vorgebeugt werden kann, empfiehlt der Instrukteur: „Regelmäßige materielle Versorgung von oben her veranlassen und sicherstellen.

3. “Schließlich führt er ein junge Paar vor, das über eine außergewöhnliche “Anspruchshaltung“ verfügt und dem gegenüber nur eines hilft: „Klar und unmissverständlich durchgreifen. Gleichzeitig Korrumpierungsangebote machen.“

„Die Gefahr, meine Herren, kommt weder von rechts noch von links. Sie kommt von unten“, konstatiert der Instrukteur. Obwohl das Drehbuch Ende 1965 fertig war und Geissler in Briefen schon angekündigt hatte, dass es Mitte 1966 im NDR zu sehen sei, wurde nur die erste Episode gedreht und ohne die Einrahmung durch den Instrukteur erst 1969 gesendet. Das wirkt sich durchaus auf den Blick auf die junge Frau, das „Fahrstuhlmädchen“, aus.

„Immer nur Fahrstuhl ist blöde“

   

Typisch für Geissler erzählen vor allem die Bilder. Ein Wohnblock in Hamburg. Eine junge Frau, ärmelloses Minikleid und Pumps, eine Busfahrt zur Arbeit in einem Kaufhaus. Hier trägt sie eine Uniform. Ältere Kolleginnen sortieren die Ware auf den Grabbeltischen. Konterkariert werden die Bilder eines monotonen Alltags durch Sequenzen aus der Werbung, die Versprechungen des Wirtschaftswunders, den Stoff, aus dem sich die Träume nähren sollen: Düsenjets der Lufthansa und der PanAm heben ab in die weite Welt, Werbebilder zeigen jungen Models in Bikiniposen, die Reichen und Schönen sind im Cabrio oder auf Motorbooten unterwegs und fahren Wasserski. Nach dreieinhalb Minuten erst fällt das erste Wort: die Kollegen tratschen und denunzieren die Träume des Fahrstuhlmädchens, das „Rosinen im Kopf“ hat.

   

Von da aus erzählt der Film die ambivalente Geschichte einer jungen Frau, die dem monotonen, fremdbestimmten Arbeitsalltag entfliehen will, die eigene Pläne schmiedet und dabei nicht bemerkt, dass sie lediglich den Slogans der Werbung folgt: „Sie fahren einfach los, und alles andere machen wir.“ Sie lernt den Mitarbeiter eines Reisebüros kennen, hält ihn für den Chef und wittert ihre Chance: „Wollen wir nicht einfach mal losfahren?“, fragt sie ihn nach einem Restaurantbesuch im Bett. Doch er ist so angepasst wie ihre Kolleginnen, sein Job ist nicht besser als ihrer und Urlaub hat er auch keinen mehr. „Fahr einfach los!“, rät er ihr – eine attraktive junge Frau wie sie würde doch überall „teure Herren“ finden, die ihr aus der Hand fressen und sie aushalten. Das lässt sie nicht zweimal sagen, bucht einen One-way-Flug und beendet das Stück mit dem trotzigen Satz: „So, jetzt fange ich ein neues Leben an.“

   

So bleibt im Kaufhaus alles beim Alten, der subjektiv als Befreiung empfundene Aufbruch bleibt in den Grenzen des Systems stecken und das Fahrstuhlmädchen fällt nicht einmal aus der ihr zugedachten Frauenrolle. Sie verkauft sich selbst und ihre Wünsche. So zeigt die Episode – ganz im Sinne des Brecht’schen Lehrstücks, eingebettet in das ursprüngliche Konzept – wie Werbung und Konsumversprechen das Bewusstsein der Menschen beeinflussen, Unzufriedenheiten kanalisieren und das System auf diese Weise stabilisieren. Emanzipation würde anders aussehen. Für den Instrukteur geht diese Geschichte dieses Aufbruchs entsprechend „glimpflich“ aus, das Fahrstuhlmädchen hat verloren, ohne es zu bemerken. Die Botschaft des Films bleibt ohne den Part des Instrukteurs jedoch sehr subtil und subversiv, dass sie vielleicht sogar gut verpuffen kann. Vielleicht ging der Film deshalb 1969 glatt über den Sender, während das vollständige Projekt wegen der überdeutlichen Entlarvung des Status quo 1966 gecancelt wurde.

Literatur:

  • Widersprüche. Fernsehstück. In: Christian Geissler: „Ende der Anfrage“, Rütten + Loening Verlag München 1967, S. 157–195 (ebenfalls in der DDR-Ausgabe sowie in dem Sammelband „Plage gegen den Stein“, Rowohlt 1978, S. 439–466).

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