Christian-Geissler-Gesellschaft e.V.

Ein Jahr Knast (1971)

Ein Jahr Knast, Teil 1, Sozialreport,
B/R: Christian Geissler, Hajo Dudda, Lothar Janssen,
NDR 1971, Erstsendung 8.1.1971, 44’18“

Ein Jahr Knast, Teil 2, Sozialreport,
B/R: Christian Geissler, Hajo Dudda, Lothar Janssen,
NDR 1971, Erstsendung 12.1.1971, 42’18‘

Ein Jahr Knast, Teil 3, Sozialreport,
B/R: Christian Geissler, Hajo Dudda, Lothar Janssen, 42’13″,
NDR 1971, Erstsendung 15.1.1971

Die dreiteilige Dokumentation begleitet den Reform-Knast im Jugendstrafvollzug in Hamburg-Vierlande. Der Knast wurde 1970 für 12 Millionen DM neu gebaut – für 265 Strafgefangene zwischen 14 und 24 Jahre. Jan Braden (41), ehem. Jugendrichter, übernimmt die Leitung, um dort neue Konzepte der Erziehung, Bildung und Resozialisation zu verwirklichen. Zunächst muss er erkennen, dass das Gebäude sich dafür wenig eignet, aber: Nicht das Gebäude, die Menschen machen den Vollzug. Dann scheitert er an seinen Mitarbeitern. Es gibt nur einen Psychologen, drei Lehrer, drei Sozialpädagogen; die alten Mitarbeiter arbeiten gegen den Reformansatz und sabotieren ihn, den jungen und auch ihm selbst fehlen die praktischen Erfahrungen sowohl im Umgang mit den Gefangenen im Vollzug als auch mit der Justizbehörde. Trotzdem erreicht er ein bisschen.

Teil 1: Der Auszug der Gefangenen aus ihren „alten“ Haftanstalten“, ihre Erwartungen an die neue und den Einzug. Gefangene sind skeptisch, es ist ihnen schon viel versprochen worden, Schulabschlüsse während der Haft usw., aber nichts wurde gehalten. Der Gefängnis-Posaunenchor Fuhlsbüttel probt für Einweihungsfeier des noch leeren Knasts: „Wohlauf in Gottes schöne Welt“. Es klingt wie Hohn. Doch Braden: Bei allem was wir tun, ist das Maß der Gefangenen. Der Film zeigt Gespräche mit ihnen über ihre Erfahrungen, was die Gesellschaft ihnen bietet: Sinn, Drogen? Was ist der Sinn des Lebens? Einzelne Häftlinge sagen: Die draußen, die Eltern und Lehrer, leben doch gar nicht. Sind immer hinter irgendetwas her, deshalb haben sie so Angst vorm Tod, weil sie am Ende feststellen, noch gar nicht gelebt zu haben. Die hoffen beim Sterben noch auf ihr Leben. In den Interviews mit Gefangenen finden sich provokative Formulierungen, die später in den Roman „Wird Zeit, dass wir leben“ Eingang gefunden haben: Ein Beispiel, wie Christian Geisslers Fiction durchtränkt ist von realen Erfahrungen, wie das Dokumentarische die Grundlage für seine „fiktionale Literatur“ ist.

Teil 2: Die Filmemacher erklären zu Beginn einen Perspektivwechsel.O-Ton: „Wir hatten einen Prozess protokollieren wollen und stellten dann fest, dass wir selbst schon Teil dieses Prozesses geworden waren.“
Die Gefangenen fordern, dass Stationssprecher gewählt werden, dass sie die Wochenenden gemeinsam zu verbringen können, weil sonst der Frust hochkommt und nur alles „zerkloppt“ wird. Sie fordern, dass das Reformprogramm „Erziehung zur Selbstständigkeit draußen“ eingelöst wird und scheitern an den bürokratischen Vorschriften der Behörde. Es kommt auch zu Selbstverletzungen, nur um aus dem Knast herauszukommen. Aber: kleine Fortschritte in einem zähen Prozess werden dennoch gesehen. Resümee: Es herrscht ein krasser Widerspruch zwischen den Erwartungen an die Reform und ihre Realität: Man kann die Häftlinge nicht zu Selbstständigkeit und Verantwortung ermutigen, wenn man Angst vor den Folgen hat.

Teil 3: Die Ankündigung: Wir zeigen das Scheitern. Die Reform stockt wegen struktureller Probleme mit der Hierarchie in der Justizbehörde: Gefängnisleiter Braden steht immer zwischen den Fronten. Hier die Vorschriften der Behörde, dort die Erwartungen und Hoffnungen der Gefangenen, die sich mit Bradens Reformzielen decken. Aus dem „Erziehungsprogramm“ werden Rollenspiele gezeigt: Situation vor Gericht, bei Kündigung in der Firma, usw. Hier zeigen Gefangene auf sehr komische Weise, was sie vom Funktionieren der Gesellschaft begriffen haben, an der sie gescheutert sind und die sie in den Knast bebracht hat. Am Ende Entlassungen aus dem Knast, eine Runde von Ex-Knackis trifft sich in einer Kneipe.
Dem Reformknast wird der Geldhahn zugedreht. Die Reform ist gescheitert.

Aus den Erfahrungen dieser Dokumentation entstanden zwei weitere Filme:
„Sie nennen sich Schießer“: Die Dokumentarfilmer haben festgstellt, dass zahlreise der jugendlichen Häftlinge Drogen konsumieren. Warum tun sie das? Was erwarten sie davon? Welche Wege gibt es aus der Drogensucht heraus?
„Hamburg 6 – Karolinenviertel“: Ein hoher Anteil der jugendlichen Häftlinge kommt aus ganz bestimmten Stadtteilen – Zum Beuispiel ais dem karolinienviertel. Die Filmemacher begleiten deshalb deshalb einen Häftling nach seiner Entlassung zurück in sein Wohngebiet und lassen sich zeigen, wie die Verhältnisse dort sind.

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