Christian-Geissler-Gesellschaft e.V.

Der Pannwitzblick (1991)

Der Pannwitzblick (90 Min.)

Regie: Didi Danquart
Drehbuch: Karl-Heinz Roth & Didi Danquart
Text: Christian Geissler
Musik: Cornelius Schwehr
Produktion: Medienwerkstatt Freiburg, BRD 1991

Eingerahmt wird dieser Film von einem Zitat Primo Levis: Er beschreibt den Blick eines SS-Offiziers, dem er ausgesetzt war. Dieser Blick habe klar ausgedrückt: Dieses Wesen vor ihm, also Levi, gehöre ausgerottet. In dem speziellen Fall sei aber Frage hinzugekommen, ob dieses Wesen noch irgendeinen verwertbaren Faktor aufweise. Der SS-Offizier hieß Pannwitz. Sein Blick auf Levi war nicht nur der eines Individuums auf ein anderes – er drückte eine gesellschaftliche Haltung aus. Dieser Haltung, die ihren Ausdruck im Pannwitzblick findet, geht der Dokumentarfilm nach.

Im Zentrum des Films steht die Frage nach dem „lebenswerten“ und dem „lebensunwerten“ Leben. Die Nazis haben sie durch ihre Rassenpolitik und Eugenik beantwortet. Fotos und Filmausschnitte von 1840 bis in die 1940er Jahre dokumentieren den Blick auf Menschen, die körperlich und geistig nicht der Norm entsprechen, der sie zu Objekten macht.

Rauchen, Telefonieren … – es geht auch mit den Füßen.

Der Kommentar Christian Geisslers spricht aus den Bildern, leiht den „Objekten“ eine Stimme, macht sie zu Subjekten. Er macht dies in der ihm eigenen Sprache, die immer wieder eine große Nähe zu seinem literarischen Schreiben und den Hörspielen verrät. In einer Sequenz werden die Blicke auf die Augen gerichtet, und Geisslers Kommentar blickt aus diesen Augen selbstbewusst zurück: „… und bau ich in ihrer Wüste ein Boot“, sagt ein paar Augen. Dieses Bild wird zentral im Hörspiel „Unser Boot nach Bir Ould Brini“, das wenig später entstand – hier greift die Arbeit an unterschiedlichen Themen und in unterschiedlichen Formen ineinander.

Die Bilder aus der Geschichte der Eugenik werden „verlängert“ und an die Gegenwart herangerückt durch ihnen entsprechende Ausschnitte aus einem Werbefilm der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben, aus einem Interview mit Peter Singer.

Leben im Rollstuhl

Gegen diesen Pannwitzblick treten vier starke Menschen auf, die in unterschiedlicher Weise nicht der Norm entsprechen: Sie gegen Einblick in ihr Leben, berichten von den Erfahrungen, die sie mit der Familie, mit Ärzten und Psychologen gemacht haben, erzählen davon, wie sie zu ihrem Selbstbewusstsein gefunden haben. Sie setzen sich mit dem Pannwitzblick im Hier und Heute des Jahres 1991 auseinander – einem Blick, der nicht nur von Ärzten ausgeht, sondern auch vom Nachbarn und Bürger auf der Straße. Sie berichten, wie sie lange über das Ende der Nazi-Zeit bis in ihre Gegenwart zu Objekten gemacht, verdinglicht, kaputtgemacht werden und wie sich dagegen wehren. Besonders eindrücklich zeigen dies Ausschnitte eines Dokumentarfilms, der in den 1960er Jahre über eine dieser Vier, ein junges, Contergan-geschädigtes Mädchen gedreht wurde: ein Lehrfilm für Kongresse von Ärzten und Prothesenbauern, die daran arbeiten, die Körper der Geschädigten mit ihren handwerlichen Methoden gewaltsam der Norm eines „gesunden Körpers anzupassen. Als erwachsene Frau berichtet das Mädchen von damals dann von den Qualen, die ihr angetan worden sind, vom ihrem Widerstand und ihrem späteren glücklichen Leben ohne Prothesen.

Literatur:

  • Sierck | Danquart (Hg.). Der Pannwitzblick: Wie Gewalt gegen Behinderte entsteht (1993, mit Geisslers Text)
  • Didi Danquart: „Der Tonfilm hat die Stille erfunden“. Christian Geisslers Text zum Film. In: Der Radikale

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